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Das Polydrama
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11c 3 HUSBANDS
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WALTER Meine lieben Freunde, danke, dass ihr gekommen seid. Möchtet ihr was trinken?

FRANZ Nein, nein.

GUSTAV ad. Lib.

WALTER Ich fürchte, ich habe die traurige Pflicht, euch von einem tragischen Ereignis zu informieren, das gestern um 5 Uhr 42 nordamerikanischer Zeit die Welt heimgesucht hat: Alma ist tot. Sie ist in New York ihrem Haus in Manhattan in Frieden entschlafen. Sie ist von uns gegangen.

FRANZ Sie ist von dir gegangen, Walter. Lass uns genau sein. Nur von dir. Nicht von uns. Nur du hast sie verloren - weil du noch lebst. Wir sind bereits tot und werden sie in Kürze in die Arme schließen können. Und dann gehört sie uns - bis in alle Ewigkeit! Hab ich nicht Recht, Gustav?

GUSTAV Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, pietätlose Witze zu machen, Franz. Ihr Körper ist noch warm und du zerreißt dir schon das Maul über sie.

FRANZ Was denn für pietätlose Witze? Ich hab doch nur Tatsachen festgestellt. Alma wird in Kürze bei uns sein, während Herr Walter Gropius noch fünf Jahre wird warten müssen, bis er sie endlich für ein paar Momente der Ewigkeit in seine Armen wird schließen dürfen - wenn sie ihm das überhaupt erlaubt.

WALTER Beruhig dich wieder, ja?! Ich an deiner Stelle wär mir nicht so sicher, ob’s bei dir überhaupt ein paar Sekunden sein werden, lieber Franz.

FRANZ Äonen, mein Lieber, Äonen! Ich werde überhaupt der erste sein, dem sie um den Hals fällt. Es ist wie bei einem Cognac Napoleon XO!

WALTER Da wär ich mir aber nicht so sicher! Du erinnerst mich mehr an eine abgestandene Urinprobe

GUSTAV Hört jetzt auf bitte, ja?! Wann findet das Begräbnis denn eigentlich statt? Ich muss noch den Engelschor einstudieren.

WALTER Der Trauermarsch setzt um viertel vor elf ein.

FRANZ Moment, Moment! Was soll das mit der Urinprobe?

WALTER Möchtest du wissen, was Alma über dich gesagt hat?

FRANZ Wann hast du sie denn getroffen?

WALTER Februar 1919, kurz nach dem ersten Weltkrieg

FRANZ Ach so, du meinst, als sie noch mit dir verheiratet war.

WALTER Ja klar. Aber da waren wir schon getrennt. Es war ungefähr zwei Jahre, nachdem du deine Affäre mit ihr angefangen hattest.

FRANZ Das war keine Affäre, mein Lieber, sondern der Beginn einer großen, leidenschaftlichen Liebe, der mehr als 25 Jahre gedauert hat.  Es war überirdisches Glück bis an mein Totenbett!

WALTER Lass gut sein, Franz. Lass es gut sein! Du bist wirklich ein guter Autor, aber sei so nett und gib dich bitte nicht dem Rausch deiner eigenen Worte hin. Wir reden von der Wirklichkeit. Wir reden jetzt Tacheles, wie man bei euch zu sagen pflegt.

GUSTAV Was hat Alma denn jetzt über ihn gesagt, mein Gott?! Werden wir´s endlich erfahren?!

WALTER Ja, ja. Nur keine jüdische Hast. Sie hat mich damals um die Scheidung gebeten. Wir haben uns in einem kleinen, romantischen Weinkeller in Wien getroffen.

FRANZ In einem kleinen, romantischen Weinkeller! So ein Quatsch. Sie hat dich überhaupt nie um die Scheidung gebeten.

WALTER Ach wirklich?

FRANZ Ja! Sie hat dir geschrieben. Einen stinknormalen Brief. Das weiß ich zufällig. Ich hab ihr nämlich dabei geholfen? Ich machte damals ihre ganze Korrespondenz, weißt du? Und du hast ihr auch geantwortet – und schriftlich zugestimmt.

WALTER Na schön, Franz, wie du willst. Wenn du die Wahrheit nicht vertragen kannst... Du wirst schon wissen, warum.

GUSTAV Entschuldigung, aber können wir vielleicht jetzt endlich erfahren, was Alma über dich gesagt hat? Und zwar ohne dass du Walter dauernd dabei unterbrichst, ja?!

FRANZ Bitte, bitte! Wenn es dich glücklich macht einem Dreigroschenroman zuzuhören, in dem jede Zeile erstunken und erlogen ist – hab deine Freude dran.

GUSTAV Danke. (zu Walter) Also was hat sie über ihn gesagt?

WALTER Pass auf: Wir sitzen da in einer kuscheligen Ecke in diesem Weinlokal und sie säuft ihren Benedictine. Sie hatte schon einiges intus und benahm sich dementsprechend jovial. Und im magischen Licht dieser Kaschemme flüsterte sie mir zu, dass ich mir wahrscheinlich gar nicht vorstellen könnte, was sie eigentlich all die Jahre an diesem Werfel gefunden hätte und was sie überhaupt veranlasst hätte, sich mit ihm einzulassen, wo er doch wirklich nicht... Na ja, ich möchte jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen. Auf jeden Fall gab sie lachend zu, dass sie es selbst nicht wüsste und wenn sie die Wahrheit sagen sollte, es außer der Tatsache, dass Werfel viel jünger war und ein viel versprechender Autor und liebeshungrig und bewunderungssüchtig, es wirklich nicht sehr viel mehr Gründe gäbe, warum sie ihn eigentlich...

FRANZ Es reicht!

WALTER ...bewundern sollte und respektieren und anbeten...

FRANZ Walter, hör auf mit diesem Unsinn. Ich warne dich!

WALTER ... wegen seiner grandios unstillbaren Sehnsucht, ein Star zu werden, was er ja bis dato noch nicht erreicht hatte!

FRANZ Ich weigere mich, mir diesen Dreck noch länger anzuhören.

GUSTAV Franz, Franz, Franz! Ich weiß, die Wahrheit ist schwer zu ertragen. Aber das gilt doch wohl für uns alle, oder? Was ist denn auf einmal los mit dir? Wir sitzen doch alle im selben Boot. Wir hatten doch alle diesen Traum, diesen großartigen, unerfüllbaren Traum, in Almas Leben eine Rolle zu spielen, die uns leider nicht vergönnt war! Das war doch ganz genau der Grund, warum wir eine so leichte Beute für sie waren. Und die Ursache für Almas Appetit auf uns, was glaubst denn du? Korrigier mich, wenn ich mich irre, Walter. 

WALTER Es ist die Wahrheit. Die nackte Wahrheit. Das hast du goldrichtig durchschaut, mein Bester. Wir waren wirklich nicht als Männer für sie interessant, sondern nur als kreatives Ereignis. Als Kunstspritze. Sie war besessen von unserem Drive, unserem Ehrgeiz, unserem Impetus. Das hat sie angeturned und aufgegeilt. Wir waren Energiespender. Und natürlich auch Samenspender (lacht).

GUSTAV Weißt du eigentlich, dass sie fast dieselben Worte auch für dich gefunden hat, Walter?

WALTER Was soll das heißen? Bist du verrückt?!

GUSTAV Nachdem ich eure kleine, unbedeutende Affäre entdeckt hatte – was ja nicht schwer war – schwor sie mir, dass gar nicht Du es warst, zu dem sie sich hingezogen fühlte, sondern die Glut deines Ehrgeizes, der in dir brodelte wie eine Eisengießerei. Das hat dich so unwiderstehlich gemacht, sonst gar nichts. Ich konnte das gar nicht glauben und wollte unbedingt von ihr wissen, was sie denn tatsächlich bewogen hatte, deinen Avancen nachzugeben – aber sie wusste keine Antwort drauf. Sie wusste keine Antwort. Sie fragte sich immer und immer wieder – und das in meiner Gegenwart - : “Welcher Teufel hat mich geritten, Walter Gropius zu lieben, ihm zu folgen wie ein Hündchen wenn er zu jeder Tages- und Nachtzeit verlangte mich zu sehen? In irgendwelchen drittklassigen Absteigen, heruntergekommenen Stundenhotels, öffentlichen Toiletten...

FRANZ Das ist eine Schweinerei!

WALTER ... oder einem ratternden Schlafwagen von München nach Paris? Scham- und würdelos. Demütigend, erniedrigend und primitiv?!“

WALTER Du spinnst wohl?! Das hat sie dir nie gesagt, niemals! Sie hätte die Antwort gewusst, das kannst du mir glauben!

GUSTAV Da irrst du dich aber gewaltig, mein Lieber. Ihre Antwort war ganz klar: “Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht.“

WALTER Diese miese Lügnerin! Diese gottverdammte Hure! Hab ich’s doch gewusst. Ich hätte mich niemals mit ihr einlassen sollen!

FRANZ Warum denn, Walter? Warum? Ich dachte es war so schön und wild und leidenschaftlich? Was macht dich denn auf einmal so kleinmütig, hmm? So zornig? Doch nicht das kleine bisschen Wahrheit, das so schwer zu ertragen ist?

WALTER Welche Wahrheit denn bitte? Welche Wahrheit denn? Alma und die Wahrheit! Das sind zwei Parallelen, die sich niemals kreuzen werden! Sie lügt doch, sobald sie den Mund aufmacht! Oder den Füllfederhalter. Lügen ist doch ihre Religion. Wenn sie zufällig einmal die Wahrheit erwischt, dann entweder aus Versehen oder weil sie müde ist.

FRANZ Wovon genau sprichst du?

WALTER Von all den Lügen und Halbwahrheiten, von all die Tricks und Intrigen, die diese Frau geschmiedet hat, um uns an sich zu fesseln, von jedem Kuhhandel, auf den sie sich einließ, um uns bei sich zu halten, bis ihre Rose alle Blätter verloren hatte und ihr die Dornen wie faule Zähne aus dem Maul fielen! Von ihrer Rücksichtslosigkeit, von ihrer Skrupellosigkeit, von ihrer  Amoral, von ihren Tränen, die sie ach so leicht vergossen hat, ihrer Frechheit und Geschwätzigkeit, ihrer Achtlosigkeit sobald sie jemanden verletzt hatte, ihrer Missgunst gegenüber allen anderen Geschlechtsgenossinnen, ihre Freude an der Bosheit, ihrer Undankbarkeit, ihrer Begabung, aalglatt das eine zu sagen und etwas anderes zu meinen, und all das in einem Satz, in einem Atemzug!

FRANZ Du hättest Dichter werden sollen – und ich der Architekt.

WALTER Ihr ordinäres Verlangen nach allem was schmutzig und verboten ist, ihre Vulgarität, ihre Bereitschaft, alles einzusetzen, um das Ziel zu erreichen, das sie sich in den Kopf gesetzt hatte, gepaart mit der völligen Abwesenheit von Logik und Vernunft, geschwängert mit der völligen Abwesenheit jeglicher Spur von Reue über ihre Missetaten, uns trotzdem zu herzen und zu kosen, zu verhätscheln und zu verzärteln für diesen einen kostbaren Augenblick, für diesen kleinsten Teil der Ewigkeit – und uns anschließend zu entmannen, uns zu verleugnen und uns in aller Öffentlichkeit zu verraten.

FRANZ Fabelhaft! Fabelhaft!! Was meint ihr, soll ich das in Verse gießen und Gustav schreibt die Musik dazu? Das gäbe doch eine herrliche Arie! Und der Titel der Oper: „Das ewig Weibliche“ oder "La Ultima Donna!" Wir können’s gleich ausprobieren, was meint ihr? Vielleicht ist das der Beginn einer neuen Karriere für uns?!

GUSTAV (schlägt auf den Tisch) Hört sofort auf! Hört sofort auf damit!! Ihr solltet euch was schämen, ihr beiden!

FRANZ Was ist denn los, Gustav? Haben wir was falsch gemacht? Haben wir was gesagt, das vielleicht nicht stimmt? Haben wir gelogen?

GUSTAV Natürlich habt ihr gelogen! Und wie! Wenn man euch zuhört, glaubt man, ihr sprecht über ein Monster, nicht über ein lebendiges Wesen, über eine wunderbare, unvergessliche Frau wie die Alma, die ich gekannt und geliebt habe!

WALTER Oh! Bitte, bitte, bitte! Dann lass uns teilhaben an deinen wertvollen Erkenntnissen und erzähl uns von der reinen, wahren Alma. Vielleicht können wir noch was lernen.

GUSTAV Die Alma die ich kannte war eine Märtyrerin der Liebe.

FRANZ (ironisch)  Oh!...

GUSTAV Jawohl. Sie war ganz genau das Gegenteil von alldem, was ihr gesagt habt. Aber deine Bitternis ist für mich keine Überraschung, Walter, nachdem sie dich erst mit Kokoschka und dann auch noch mit unserem lieben Franz betrogen hat. Es muss sehr schmerzhaft für dich sein, draufzukommen, dass du der einzige von uns allen bist, den Alma wirklich nie geliebt hat.

WALTER Woher willst du denn das wissen?!

GUSTAV Ich kann dir wörtlich und im Detail berichten, was sie über dich gesagt hat, Walter.

WALTER Ich war doch der erste, der ihr das Gefühl gegeben hat, eine Frau zu sein. Und das war, als sie noch mit dir verheiratet war, mein Guter.

GUSTAV Ach nein? Und was war dann der Grund, dass sie dich schon nach kürzester Zeit langweilig fand, hmmm?

WALTER Sie fand mich was?!

FRANZ Langweilig. Sterbenslangweilig. Und wie.

GUSTAV Oh, dir hat sie das auch gesagt?

FRANZ Des Öfteren!

GUSTAV Und wie genau bitte hat sie sich ausgedrückt?

FRANZ Da gab’s nicht viel zu sagen. Sie fand ihn eben langweilig. Uninspirierend, nervtötend in seiner deutschen Korintenkackerei. Sie war eben verwöhnt von uns beiden, das muss man verstehen.

WALTER Ihr seid wohl vollkommen verblödet!

FRANZ Nach weniger als zwei Stunden wusste sie doch nichts mehr mit dir anzufangen. Um es auf den Punkt zu bringen: Als Liebhaber warst du kein Kokoschka und als Intellektueller kein Gustav Mahler.

WALTER Und in dir hat sie dann die Synthese von beiden gefunden, ja?

FRANZ So könnte man sagen.

WALTER Sag mal, hast du keinen Spiegel zu Hause? Ich werde dir jetzt mal was sagen, mein Lieber: als Mann warst du für sie ungefähr das letzte was sie sich als Frau erträumt hat. Sie nannte dich eine Personalunion aus Ratte und sinkendem Schiff.

FRANZ Beauty-Contests sind eben meine Sache nicht.

WALTER Soll ich dir mal ein Geheimnis anvertrauen, du Inkognito-Adonis: ich war froh, als ich sie los war! Ich war froh und überglücklich! Es war eine Erlösung! Gottseidank hatte sie ja schon dich als neues Spielzeug auserkoren.

FRANZ Das solltest du nicht sagen! Ich war nie ihr Spielzeug!

WALTER Oh doch, mein Schatz, oh doch. Ihr kleines, mosaisches Spielzeug!

FRANZ Sie hat sich mir hingegeben, wie sie es bei keinem von euch getan hat! Das kann ich beweisen. Sie ist fast gestorben daran! Ich sage nur: Baby Martin. „Ich bin dein, mach mit mir was du willst! Töte mich, töte mich, ich schenke dir Körper und Seele!“

WALTER Und was für eine Seele! Und was für ein Körper! Gustav, du hättest sie sehen sollen wie sie aussah fünf Jahre nach deinem Tod! Du hättest sie nicht wieder erkannt. Eine überquellende Fregatte, mit diesem andauernden süßlich-debilen Lächeln auf ihrer Ersatz-Vagina und diesen trüben, glasigen Augen vom dauernden Saufen!

FRANZ  Dein Herz ist nur verbrannt vor Eifersucht.

WALTER Ich habe mir mal das letzte Photo genau angeschaut, das von Euch in der Zeitung erschienen ist. Da begräbt sie dich ja förmlich unter sich. Entschuldige, dass ich das sagen muss, aber du siehst aus wie eine Kaulquappe, die von einem Walross überrollt wird.

FRANZ  Du kannst sagen was du willst. Es stört mich nicht. Aber eines wirst du nicht leugnen: wenn sie dich liebt, macht sie einen anderen Menschen aus dir. Sie macht dich glauben, dass du alles erreichen kannst, was du dir wünscht:

WALTER Du glaubst wirklich, dass du alles erreicht hast, was du wolltest?

FRANZ Absolut.

WALTER Na dann gratulier ich!

FRANZ Alma hat einen weltberühmten Romanautor aus mir gemacht, einen erfolgreichen Drehbuchschreiber in Hollywood. Ich kann mich wirklich nicht beklagen. Mir fehlte nur noch der Nobelpreis. Wenn ich sie nicht getroffen hätte, wäre ich bei meiner Lyrik geblieben und das wär‘s auch schon gewesen.

WALTER Möglich. Aber sehr lang hat dieser Ruhm nicht gedauert.

FRANZ Was soll das heißen?

WALTER Dein vom Fabelwesen Alma geschaffener Weltruhm hat dich leider nicht überlebt, Franz. Sieh der Wahrheit ins Auge. Du warst ein ein Bestseller-Autor, ein erfolgreicher Schreiber, mehr nicht. Ein Dichter bist du nie gewesen. Nie. Außer vielleicht in den frühen Gedichten. Und die hat sie dir ja dann ausgetrieben, oder?

GUSTAV Nicht ohne vorher noch eines mit ihrer Musik verhunzt zu haben.

WALTER „Der Erkennende“, ich weiß. Ein schreckliches Stück. – Aber Bestseller sind vergänglich, Franz.

FRANZ Bauhäuser auch.

WALTER Sie kommen aus der Mode, wie ein ausgetragener Schuh der gestern modern und heute lächerlich ist. Dantes „Göttliche Komödie“ hatte vielleicht keine so hohe Auflage wie „Das Lied von Bernadette“, aber jeder liest sie heute noch. Der Einzige von uns Dreien, der es wirklich zu was gebracht hat, ist Gustav. Und das verdankt er nun wirklich nicht Alma.

GUSTAV Ich kann euch da gut verstehen. Aber Alma wird mich immer lieben, allerdings nur im Geheimen, um mich dann im Angesicht der Welt herabzuwürdigen, mich mit Spott und Hohn und Dornen zu übergießen und mich zu verleugnen wie einst Petrus unseren Herrn. Oh welche Pest, welche Seuche, welch Golgatha nimmt man in Kauf, nur für den einen, heiligen, unauslöschlichen Moment, der uns das bisschen Paradies schmecken lässt! Und der Preis ist hoch! Lebenslange Sommerfrische – in der Hölle. Gibt es einen größeren Fluch als in die Fänge einer Frau zu geraten, und länger mit ihr zu tun haben zu müssen als die vage Zeitspanne einer Kopulation, wo sie dich in ihrem Abdomen festhält und krampfhaft Ewigkeit wünscht, wo doch Vergänglichkeit herrscht, da sie dich doch nur in ihre Gebärmutter aufnimmt, um dich in dieser Grotte erblinden und ertauben zu machen und dich dann der ewigen Verdammnis anheim fallen zu lassen?!!
Wenn ihr wüsstet, wie meine erste Zeit damals in Wien ausgeschaut hat! Ich kam doch aus Böhmen, aus Kalischt, einem kleinen Dorf an der galizischen Grenze. Ich war ein junger, viel versprechender, jüdischer Musiker, ja ja. Aber als ich in Wien ankam fühlte ich mich wie ein dünnes Blatt,  das vom Sturm aus der Sicherheit eines dichten Waldes gerissen worden war. Ich war ein dreifach Heimatloser: als Böhme unter den Österreichern, als Österreicher unter den Deutschen, und als Jude in der ganzen Welt. So kam ich dort an, in Wien, der Metropole, dem Schmelztiegel der Kulturen. Ich wusste gar nicht, wo ich hingehörte, ich musste immer wieder von vorne anfangen mich zu orientieren, ich fühlte mich fremd in diesem Land, an dessen kulturellen Aufbau ich doch so gern teilhaben wollte, aber dessen Bräuche und Sitten, dessen Tänze und Lieder mir fremd blieben. Bleiben mussten. Und als ich dann aufs Land fuhr, in die berühmte schöne Umgebung von Wien und ich sah das Landvolk am Feld arbeiten, ohne Schuhe, ohne Hemd, halbnackt in der glühenden Sonne, und ich neidisch sah, wie die jungen Männer ihre starken Arme um die Schultern der Mädchen legten, die ihre Blusen geöffnet und aufgestreckt hatten über ihren Hüften. Und ich konnte diese... Formen sehen und die Lust spüren und ihre Kraft und Gesundheit und die Lebensenergie wenn sie barfuss Trauben oder Tänze stampften. Ich aber stand abseits und wagte mich gar nicht zu bewegen, keinen Millimeter zu rühren, ich traute mich nicht, mir auch die Schuhe auszuziehen und mein Sakko und meine Weste und mein Hemd - und mitzumachen! Dabei zu sein! Dazuzugehören! Ich schämte mich meines Körpers und meiner unförmigen rosanen Füße. Aber meine Seele wusste, dass sie dazugehörte, dazugehören wollte, dazugehören musste! Aber es fehlte mir der Mut. Der Mut, der Stolz und das Selbstbewusstsein mich im Angesicht eines anderen Volkes, einer anderen Rasse zu deklarieren, zu erkennen zu geben und mich mit ihnen zu vereinigen. Und dann begegnete ich Alma. Und das war meine Rettung, mein Schlüssel, meine Verbindung zu dieser fremdartigen, unerreichbaren, gefährlichen und faszinierenden Welt.

WALTER (sobald er von draußen die Musik des Alma-Begräbnisses hört:) Entschuldige, wenn ich dich unterbreche, Gustav, aber ich glaube, es ist Zeit. Wir müssen los. Sonst versäumen wir noch das Beste. Ich möchte nicht in der dritten Reihe stehen! Let’s go!