Josef Kainz

1909 tauchen Gerüchte auf, Josef Kainz sei krank. Als er sich im Mai 1910 untersuchen lässt, lautet die Diagnose auf Darmkrebs. Eine Operation bringt nur kurze Besserung, Anfang Juni jedoch gestatten ihm die Ärzte, ein letztes Mal auf den Semmering zu fahren, wo er im Kurhaus vom 30. Juni bis 8. August letzte Erholung findet.

Josef Kainz Josef Kainz
     
Kainz als Hobbyphotograph am Semmering
 
Semmering im Winter gegen
das Hotel Erzherzog Johann
(Aufnahme von Josef Kainz, 1905)

Am Tage, als er das Sanatorium verlässt, ist er von jünglingshafter Frische, das Gefühl, "wieder einmal menschlich angezogen zu sein, einen Hut auf dem Kopf und Schuhe an den Füssen zu haben", beseligt ihn. Als er den Straßenboden unter sich fühlt, erklärt er den begleitenden Freunden, er würde viel lieber abends eine kleine Rolle spielen, als auf den Semmering fahren!

Die Südbahn hat einen Salonwagen zur Verfügung gestellt, seine Abreise ist bekannt geworden, und halb Wien erwartet ihn am 30. Juni entweder vor dem Sanatorium oder auf dem Südbahnhof. Der Bahnsteig ist überfüllt, Kainz schreitet mit seinem gewohnten leichten Schritt, umgeben von einem ganzen Gefolge von Freunden, Begleitern und Dienstpersonal, die lange Front seiner Verehrer und Bewunderer ab, schwingt sich mühelos in den Wagen und steht, wie eine Majestät grüßend, am offenen Fenster des ausfahrenden Zuges.

Josef Kainz Josef Kainz
     
Rechnung des Kurhaus Semmering vom 3. Juli 1910 für "Begleitung Kainz"
 
Kainz wird im Zug von seinen Anhängern begrüsst

Am Semmering kommt ihm am Bahnhof Wolfsbergkogel sein Freund, der Berliner Theaterdirektor Otto Brahm entgegen, der ein paar Tage mit ihm verbringen will. Es sind die letzten schönen, die das Leben ihm noch vergönnt. Er kann kleine Spaziergänge unternehmen oder im Freien liegen, die Mahlzeiten mit dem Freunde teilen und seine Abendgespräche, wie er es liebt, lang über die Besuchszeit hinaus ausdehnen. Brahm hat den Berliner Freunden oft erzählt, daß er Kainz nie so gelöst gesehen habe, nie anregender und geistvoller. Aber doch sei er ein Veränderter gewesen: milder, reiner, gütiger und versöhnlicher, vergeistigter - als stünde er schon mehr im jenseitigen, während er noch das herrliche Brausen des Lebens so selig empfand, daß er von ihm sprach in der Gewissheit einer endlosen Zukunft von Arbeit und immer neuen Zielen.

Als Arthur Schnitzler ihn besucht, spricht er mit ihm bis in kleinste Details die Aufführung von "Das weite Land" durch, mit Glücksmann bereitete er die Herausgabe einer "Dramaturgischen Bibliothek" vor, die ein ideales Nachschlagewerk und Hilfsmittel für Regisseure werden soll. Er entwirft Modellzeichnungen für praktische Bibliothek-Koffer, in denen auch sein Malzeug untergebracht werden könnte, und lässt Probeausführungen machen - Pläne über Pläne! Vor allem aber träumt er von einem "Festspielhaus am Semmering"!

Josef Kainz Josef Kainz
     
Kainz mit Burgtheaterdirektor Max Burckhard und seiner Frau
 
Otto Brahm 1905 zu Besuch am Semmering mit Felix Salten, Hugo von
Hofmannsthal und Arthur Schnitzler

Hermann Bahr erinnert sich in seinem Tagebuch vom 21. Juli 1910 an den
sterbenden Kainz:

Den ganzen Nachmittag bei Kainz. Merkwürdig, wie er gar nicht den Tod zu fürchten scheint aber jeden Schmerz. Mit Vorliebe schildert er die Wirkungen des Morphiums das ihn übrigens keineswegs einschläfert, sondern, im Gegenteil, angenehm erregt. Zuerst komme stets ein sehr böser Moment, er fühlt dann gleichsam einen Feind hinter sich stehen, der ihn am Hals packen will, um ihn zu überwältigen, und da hilft nichts als nachzugeben und ohne jeden Widerstand den Kopf sinken und alles mit sich machen zu lassen, bis der Feind gleichsam ganz in ihn eingezogen ist. Dann wird ihm wohl, aber er fühlt, dass er jetzt ein anderer ist, ein Mensch mit einem ganz anderen Charakter, nämlich milde, gütig, sanft, auch seine Stimme klingt anders, nämlich leise, weich und zärtlich, und nur in irgend einem verborgenen Winkel des Gehirns sitzt noch der alte Kainz und schaut dem neuen zu, verwundert und mit grossem Vergnügen, ähnlich fast wie er sich auf der Bühne eine Rolle spielen zusieht.

   
Kainz auf dem Totenbett, Zeichnung von Alexander Demetrius Golz
 

Er beteuert den Leuten, die er eigentlich gar nicht mag, er habe sie sehr gern, und eigentlich ist das in diesem Moment keine Lüge, sondern nur im Charakter der Figur, die das Morphium ihn spielen lässt. Ähnlich kommt der Schauspieler in ihm auch zum Vorscheine in Gesprächen mit der Schwester, die die Gelegenheit benützt, ihm zuzureden, dass er doch ins Kloster gehen soll, während er, auch wieder ganz schauspielerisch, in einem frommen Ton, über den er heimlich selbst lachen muss und doch auch wieder ohne eigentlich zu lügen, auf die Situation eingeht, - Seit zehn Jahren, wo er eine Lungenentzündung hatte, ist er nie so wahrhaft glücklich gewesen, wie den letzten Monat im Sanatorium: "Denk dir nur, endlich einmal gar keine Verantwortung haben müssen, sich ganz dem Schicksal überlassen, alles mit sich geschehen lassen, wies kommt, ohne eine Verantwortung dafür!"

Er spricht auch lange über Burckhard, gegen dessen unwiderstehliche Männlichkeit er immer wehrlos gewesen.

aus: Hermann Bahr: Tagebuch 1910/11, Eintrag vom 21. Juli 1910
(Österreichisches Theatermuseum, Nachlass Hermann Bahr, unveröffentlicht)